Techniken  
 
Spannungsfelder
 
                  
Künstlerische Arbeit besteht nicht einfach darin, Bilder zu malen, sondern darin, den Widerspruch zu suchen, bzw. ein Spannungsfeld im Bild  zu erzeugen zwischen dem, was gemalt und dem, wie es gemalt wird. Diese Spannung kann ich erzeugen, indem ich einen Widerspruch zwischen der Oberfläche, der Haut des Bildkörpers  und der Abbildung des gemalten Gegenstandes, der Substanz der Erinnerung, sichtbar mache.

Und deshalb arbeite ich mit Wachs, dessen Eigenschaften ich mir bei diesem Prozess zunutze mache: Enkaustik erfordert zügiges Arbeiten. Weil das Wachs auf dem Pinsel in Sekunden trocknet, ist intuitives Handeln gefordert. Dieser spannende Prozeß ist einer der wesentlichen Punkte der Arbeit mit Wachs, denn er führt schließlich dazu, dass sich das Realistische herstellt aber auch Irritationen auf der Oberfläche entstehen.

Da das Wachs in verschiedenen Wärmegraden auf den Untergrund trifft, mal verklumpt, dann wieder flüssig aufgebracht wird, verhält es sich für mich schwer kalkulierbar. Die Oberfläche verändert sich bis hin zum Relief. Ich folge also mit meiner Malerei dem Material und werde weggeführt vom Realistischen. Das Realistische ist somit nicht mehr festgenagelt, es variiert für den Betrachter und verschwindet sogar – das ist abhängig vom Blickwinkel und der Entfernung. Je plastischer die Bilder sind, je mehr Schichten ich auftrage, desto größer ist die Spannung zwischen Erkennen und Wahrnehmen, bis hin zur Illusion.

Im Prozess des Malens gibt es also den Moment, in dem das Gegenständliche verschwindet. Ich habe die Oberfläche so lange bearbeitet, bis sich das gegenständliche Bild ins Abstrakte verkehrt. Das Bild aus der Fernform wirkt gegenständlich lebendig, das Bild aus der Nahform wird ungegenständlich, kippt die vertraute Erwartung durch größere Detailnähe. Dieser Moment des Erkennens aus der Ferne, des Auflösens der Form und Gewahrwerdens der Materialsprache aus der Nähe, stellt sich für den Betrachter immer wieder von Neuem ein. Sehen hat mit Bewegung und Körperwahrnehmung vor dem Bild zu tun. Das Ziel besteht darin, das Bild so aufzuladen, dass sich dieser Sehprozess bestenfalls nie erschöpft.

Das Material Wachs beschert mir  dabei verschiedene Stofflichkeiten wie beispielsweise Transparenz und Festigkeit. Dies ist ein weiteres Spannungsmoment, das ich gern bei der Landschaftsmalerei einsetze.

Die Stofflichkeiten Transparenz wie Wasser und Festigkeit wie Stein stehen sich gegenüber und bilden einen Kontrast. Sand und Marmormehl wetteifern mit transparenten, eingefärbten Wachsschichten. Meist hebe ich diesen Kontrast durch eine glatte Oberfläche noch hervor.

Bewegung und Körperwahrnehmung bestimmen auch die Wahl meiner Bildthemen: Wasser, Steine, Licht sowie Haut, Körper, Schatten. Hinzu tritt ein weiteres Mittel der künstlerischen Verschiebung vertrauter Wahrnehmung: Landschaften mit glatter Oberfläche, Porträts mit rauer Oberfläche.

Wenn ich mit einem Bild beginne, gehe ich oft von der Vorstellung umspülter Steine oder irgendwelcher Gründe aus, von denen ich einen Ausschnitt darstelle. Und exakt dies entspricht meinem ganz persönlichen Spannungsfeld hier in der Dithmarscher Marschlandschaft, die ich beschreibe mit dem Satz: „Die Weite des Landes versinkt in der Größe seiner geringsten Details.“

Ich genieße die Weite, suche aber gleichzeitig den Halt, damit mich die Horizonte nicht aufsaugen. Halt aber auch Hilfe bei der Erkundung des Landes sind mir die von mir deshalb fixierten kleinen Dinge und Erscheinungen. Das ergibt in der Vielzahl seiner Bedeutungen die Gründe, auf denen ich mich bewege, die mich antreiben und in die ich hineinschaue.

Schicht um Schicht gräbt sich der Eindruck

und gleichermaßen Ausdruck eines Selbst

aus der Materie. „Ich wachse gern“ ist das Credo.

Über sich selbst hinaus?

Eingehüllt und festgehalten bilden Sand und Farbpartikel

eine Oberfläche, die von Nahem wie die Kraterlandschaft

des Mondes oder einer der unzähligen Planeten im All aussieht.

Aus der Ferne jedoch wird ein Antlitz sichtbar,

eines das man zu kennen glaubt und doch stellvertretend

für jeden Menschen steht.

Eben wie der Mann im Mond.

Den es auch nur durch den Augenblick des Betrachtens gibt

und dann für immer verschwindet, weil er niemals da war.

Was bleibt ist Sternenstaub.


CARMEN OBERST, 2015

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